Rückkehr in die Berufswelt:
Nicole Prüfe kehrt in ihren Traumjob zurück
Dank der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg wird Frau mit psychischem Handicap Lkw-Fahrerin bei Spedition in Harburg
„Das ist genau mein Ding!“ Nicole Prüfe lächelt, aber ihre Hand, in der sie den Stift hält, zittert. Für die 45-Jährige ist es ein besonderer Tag. Die Frau aus Tellmer in der Samtgemeinde Ame-linghausen im Landkreis Lüneburg kann nach langer Leidenszeit wieder Fuß fassen in ihrem Leben. Sie unterzeichnet einen Arbeitsvertrag als Lkw-Fahrerin bei Spediteur Norbert Höcker. Sie darf wieder Lastwagen fahren. Nach jahrelanger Zwangspause kehrt sie in den Beruf zurück, den sie schon seit ihrer Kindheit so liebt. Möglich gemacht haben das der neue Arbeitgeber und die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg.
Bei der Spedition Höcker in Harburg hat sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Sie wird nach dem Haustarif der Firma für eine 40 Stundenwoche bezahlt. Nicole Prüfe hat den Sprung aus der Lebenshilfe-Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Lüneburg in eine sozialversi-cherungspflichtige Beschäftigung geschafft.
„Endlich ist sie am Ziel angekommen. Sie kann von jetzt an auf eigenen Beinen stehen“, freut sich Thorsten Goetzie, Fachkraft für ausgelagerte Arbeitsplätze bei der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg. Der Mitarbeiter der Fachabteilung QUBI – Qualifizierung, Unterstützung, Beratung, Integration – in Lüneburg hat Nicole Prüfe geholfen, den Arbeitsplatz bei der Firma Höcker zu bekommen. QUBI unterstützt Menschen mit Behinderung bei der beruflichen Rehabilitation, bietet Bildung und berufliche Orientierung an, hilft bei der Suche nach einem passenden Praktikumsplatz. Ziel ist es, den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, den Neigungen und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderung entsprechend.
„Nicole Prüfe kam 2010 mit einer psychischen Beeinträchtigung zur Lebenshilfe Lüneburg-Harburg“, sagt Thorsten Goetzie. „Ihr Job als Fahrerin bei verschiedenen Speditionen in Nord-deutschland hat ihre Gesundheit sehr stark angegriffen“, berichtet er. Termindruck, Hektik, zum Teil rüder Umgangston und unregelmäßige Arbeitszeiten waren Gründe für die Erkrankung. „Verstärkt wurde diese noch dadurch, dass sie ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit für ihre Arbeitgeber stets zur Stelle war. Sie wollte es allen immer recht machen.“
Bei der Lebenshilfe lernte die Frau unter fachlicher Anleitung, besser auf sich zu achten, die Fehler aus der Vergangenheit zu erkennen, um diese in der Zukunft zu vermeiden. Gesundheit-lich stabilisierte sie sich bei der Lebenshilfe, sodass die Rückkehr ins Berufsleben möglich wur-de. „Schnell war klar, dass für sie nichts anderes als das Lkw-fahren infrage kommt“, sagt Thorsten Goetzie. Nicole Prüfe bestätigt: „Praktika in der Kfz-Reparatur und bei der Druckerei der Lebenshilfe waren mir zu eintönig. Ich langweilte mich. Deshalb habe ich nachgefragt, ob ich bei der Lebenshilfe stattdessen lieber einen Lkw fahren darf.“ Sie durfte.
Durch Zufall kam während ihrer Tätigkeit hinterm Steuer des Lebenshilfe-Lastwagens der Kon-takt zur Spedition Höcker zustande. Die 45-Jährige traf eine Fahrerin des Harburger Unterneh-mens. Die Frauen kamen ins Gespräch. Firmenchef Höcker erzählt: „Meine Mitarbeiterin fragte mich anschließend, ob ich nicht Nicole Prüfe als Fahrerin einstellen könnte, weil wir zu diesem Zeitpunkt einen Fahrer für 7,5-Tonner suchten.“
Norbert Höcker stand der Anfrage offen gegenüber, erstmals einen Menschen mit Behinderung in seinem Betrieb zu beschäftigen. Er stimmte einem dreiwöchigen Praktikum Anfang November 2014 zu. Nach Ablauf der ersten Testphase wurde die Zusammenarbeit um drei weitere Monate verlängert. „Weil Nicole Prüfe ihre Sache gut gemacht hat“, sagt Norbert Höcker. Er wollte sie deshalb gleich nach dem Praktikum schon fest einstellen.
Doch da trat Thorsten Goetzie auf die Bremse. Sein Gefühl bei der Spedition Höcker als künftiger Arbeitgeber war von Beginn an ausgezeichnet. „Aber Nicole Prüfe musste noch ein wenig mehr und nachhaltiger lernen, besser auf sich zu achten, damit sie aufgrund von Übermotivation nicht wie einst erneut in die Tretmühle gerät, die Fehler von früher wiederholt.“
Somit folgte dem Praktikum zunächst ein sogenannter ausgelagerter Arbeitsplatz bei dem Un-ternehmen in Harburg, bevor drei weitere Monate später dann der Arbeitsvertrag über die Fest-anstellung zustande kommen konnte. Die wiederkehrenden Aufgaben, die der Chef mit seiner Mitarbeiterin jeden Tag vor Arbeitsbeginn wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung durchgehen muss, sind Nicole Prüfe inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. „Sie macht ihre Arbeit gut. Auch weil sie einen starken Willen hat“, lobt Norbert Höcker. Weder mit dem ihr anvertrauten Lkw, noch mit Kunden hat sie Probleme.
Besonders angetan ist er auch von einer anderen Eigenschaft. „Seit unserem ersten Gespräch ist sie mit ihrer Behinderung mir gegenüber offen umgegangen. Sie hat nicht versucht, irgendet-was zu verbergen.“
Thorsten Goetzie hat jetzt keinen Zweifel mehr, dass der berufliche Neuanfang für Nicole Prüfe glücken wird. „Ich kann beruhigt loslassen“, meint er.
Hintergrund
Menschen mit Behinderung, die wie Nicole Prüfe einen festen Job erhalten, werden nicht alleine gelassen in der Arbeitswelt. Zwar betreut die Lebenshilfe sie nicht mehr, sobald der Arbeitsver-trag in Kraft tritt. Doch Mitarbeiter des gesetzlich vorgeschriebenen Integrationsfachdienstes übernehmen die Betreuung, wenn sie von dem Mensch mit Behinderung angefordert wird. Integ-rationsfachdienste sollen die Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen.
Spediteur Norbert Höcker erhält ein Jahr lang einen Lohnzuschuss für seine neue Fahrerin Nicole Prüfe aus dem sogenannten „Budget für Arbeit“ vom Landkreis Lüneburg, weil sie noch nicht zu 100 Prozent die geforderte Leistung bringen kann. Er hält die Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderung über die Abteilung QUBI der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg für eine gute und unterstützenswerte Sache. „Deshalb kann ich nur an jeden Arbeitgeber appellieren, sich daran zu beteiligen!“ Der Fachdienst Senioren und Behinderte des Landkreises hat den Antrag sofort unterstützt und gemeinsam mit der Lebenshilfe und Nicole Prüfe eine Budgetvereinbarung geschlossen. „Wir stehen als Ansprechpartner gerne zur Verfügung“, sagt Maik Koch, der die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung beim Landkreis Lüneburg bearbeitet.
Wer mehr Informationen über QUBI erhalten möchte, kann sich an Thorsten Goetzie unter der Telefonnummer (04131) 6037596 wenden.
Lüneburg, den 07.05.2015